Praxismodul URBAN HACKING

SS 2015, Leitung: Johannes M. Hedinger, Annika Hossain

Hacking als Kulturtechnik und strategisches Handlungsprinzip im öffentlichen Raum

Unter Cultural Hacking kann man das Eindringen in Systeme und deren Neu- und Umcodierungen verstehen. Es ist ein kritisches, oft auch subversives Spiel mit kulturellen Codes, Botschaften oder Werten. Das transdisziplinär angelegte Projektseminar vermittelt zu Beginn einen Überblick zur Theorie und Praxis des Cultural Hackings als Kulturtechnik und strategisches Handlungsprinzip. In der Folge werden die Studierenden in Kleingruppen selber einen eigenen Hack eines Systems im öffentlichen urbanen Raum konzipieren und durchführen. Ihre Interventionen kommentieren und kritisieren auf intelligente Art und nehmen Bezug auf die Planung, Nutzung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Die Resultate werden am Ende der Lehrveranstaltung präsentiert und/oder live performed sowie dokumentiert. Abschliessend werden die Projekte in einem kurzen Text reflektiert und zusammen mit der Dokumentation auf dem seminareigenen Blog publiziert.

Im Rahmen eines einwöchigen Praxismoduls an der HKB Bern (BA Vermittlung in Kunst und Design) entwickelten die Studierenden in Kleingruppen eigene Projekte im Stadtraum von Bern. Im Folgenden finden Sie die Dokumentation der entstandenen studentischen Interventionen.

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FREIES MUSEUM BÜMPLIZ
Von N. B. und E.H.

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Konzept
Wir gründen das freie museum bümpliz und bieten einen Spaziergang durchs Quartier. Der Fokus dieses Rundgangs ist auf kleine Details gerichtet, die sonst kaum Beachtung finden. Kleine alltägliche Objekte werden zu Kunstwerken deklariert, mit der Intention den Blick zu schärfen. Der Besucher wird aus seinem Alltag herausgerissen und findet in den Kleinigkeiten eine neue Bedeutung. Wir hacken die Wahrnehmung der Leute.
Die Zielgruppe sind Menschen aus Bümpliz, die sich gut auskennen, jedoch den Blick für die Nebensächlichkeiten verloren haben. Sie lernen Bümpliz von einer anderen Seite kennen. Auch Kunstinteressierte und jeder und jede der/die gerne etwas Neues entdeckt sind angesprochen den Spaziergang zu machen. Das freie museum bümpliz steht allen offen.
Wir wollen das Museum nach draussen holen und die typische Institutionssituation verlassen. Das Museum ist frei, es ist gratis, unter freiem Himmel und für jeden jederzeit zugänglich. Zudem ist es unabhängig und könnte von jemandem ergänzt oder verwandelt werden. Das freie museum bümpliz ist dauerhaft, kann sich aber im Laufe der Zeit durch Eingriffe oder Einflüsse verändern.
Wir haben Bümpliz als Ort gewählt, weil es hier noch kein Museum gibt. Bümpliz ist als eher grauer Vorort bekannt, indem es wenige Attraktionen gibt.

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Realisation
Wir haben auf einem Spaziergang durch Bümpliz 29 Objekte ausgewählt, die wir für beachtenswert halten. Diese haben wir auf einer Stadtkarte verzeichnet und auf der Rückseite abgebildet. Auch das Objekt selbst ist markiert, um die Zuordnung zu vereinfachen. Diese Karte ist nebst dem Kunstspaziergang unser Endprodukt. Sie dient als Wegleitung und Ausstellungskatalog. Diese Karten liegen am Bahnhof Bümpliz und an anderen ausgewählten Orten auf, so dass der Besucher selbständig die Route ablaufen kann. Zusätzlich wird eine Internetseite für weitere Informationen aufgeschaltet. Der Spaziergang dauert etwa neunzig Minuten.
Die auserkorenen Objekte haben wir mit Titeln versehen. So gewinnen sie an Bedeutung und werden aus ihrem alltäglichen Kontext gerissen. Wir haben die Arbeit sehr einfach gestaltet, ein kopierter Stadtplan mit Bildern und dem Logo drauf. Die Markierungen auf der Strasse sind mit Sprühfarbe angebracht. So tritt das freie museum bümpliz schlicht und natürlich auf.
Von einem geführten Spaziergang haben wir abgesehen, der Betrachter soll den Spaziergang alleine machen und die Objekte selbst entdecken. Auch unsere Namen sind nirgends erwähnt, wir wollen anonym bleiben und so nur das Museum in den Vordergrund stellen.

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Website: https://fmbuempliz.wordpress.com/

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PLAKATLOS

Von Maria Nur, Mara Schenk, Sofie Hänni

Konzept
Für das Urban Hacking Projekt haben wir uns von einer rege genutzten Plakatwand in Bern inspirieren lassen. Durch das ständige Plakatieren ist die Wand ein Ort der Kommunikation geworden, was das kulturelle und politische Leben in Bern/Breitenrain betrifft. Sei es in Form von illegalen oder offiziellen Plakaten, Reaktionen auf die Aussagen eben dieser Plakate oder Graffitis. An dieser Wand sind immer wieder Spuren von Aktionen zu lesen, die Fläche ist immer im Wandel und sieht keinen Tag gleich aus. Illegal angebrachte Plakate werden jedoch jeden Tag aufs Neue entfernt. Zurück bleiben allein Bostitches und Papierfetzen, die auf die vergangenen Aktionen verweisen. Neben den legalen Werbeflächen wird diese Fläche mit den Bostitches zu einem scheinbaren Un-Ort.
Auf diese ständigen Aktionen und Reaktionen, die angesprochenen Themen wollten wir reagieren. Nach verschiedenen Ideen zu Beginn haben wir uns für einen kleinen, fast unscheinbaren Eingriff entschieden. Eine plakatgrosse Fläche wurde von uns von den Bostitches und sonstigen Überresten der abgerissenen Plakate befreit. Damit versuchten wir, auf das Verhindern dieser ungewünschten Kommunikation zu reagieren und das Fehlen der Plakate durch die komplette Säuberung dieser Fläche noch deutlicher sichtbar zu machen. Diese subtile Intervention würde nur denjenigen auffallen, die das Geschehen an dieser Wand auch sonst aus den Augenwinkeln beobachten. Dem unaufmerksamen Auge sollte sie wohl kaum auffallen.

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Realisation
Die Aktion an sich, das Entfernen der Bostitches, hat schon einige Aufmerksamkeit bekommen, da es ganze drei Stunden gedauert hat, alles „sauber“ zu machen. Dieser Akt des „Aufräumens“ ist bei den Passanten als etwas sehr Positives aufgefasst worden und ist vielleicht sogar mehr aufgefallen als das Endergebnis an sich. Auf der plakatgrossen Fläche blieben allein kleine Löcher und die Spuren der benutzten Werkzeuge zurück.

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Reflexion
Die neue Fläche bringt einen Kontrast zu den vielen Bostitches rundherum und verweist auf die Funktion dieser Wand, ein Ort für Kommunikation aus Papier und Spraydose. Die öffentliche Werbung und das Verdrängen von allem Anderen, dass sich keinen offiziellen Werbeplatz gekauft hat, zeigt ganz unscheinbar, wie Recht und Ordnung in öffentlichen Raum verhandelt werden. Ein „plakativer“ Schlagaustausch – für die, die es sehen wollen. Ob die Aktion auch nach der Realisation tatsächlich wahrgenommen wurde, konnten wir leider nicht überprüfen. Was aber sicher ist, ist dass die von uns gewählte Intervention insofern nachhaltig war, als dass es noch einige Zeit dauern wird, bis die leer geräumte Fläche wieder so zugetackert ist wie der Rest der Wand. Dadurch dass wir die Strategie des Entfernens gewählt haben, konnten wir etwas an dieser Wand zu hinterlassen, was nicht so schnell rückgängig gemacht werden kann.

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ABGESPERRT

Von Nermina Serifovic, Luca Egger

In dieser Arbeit haben wir uns als Bauarbeiter gekleidet und einen Durchgang in der Unterführung abgesperrt. Die Absperrung machte als solche keinen besonderen Sinn, da sie willkürlich inmitten eines Unterführungswegs platziert wurde, also lediglich einen Umweg darstellte. Unser Ziel dabei war es erstens zu beobachten, mit welcher Schwierigkeit eine solche Aktion im öffentlichen Raum durchgeführt werden kann und zweitens, wie einfach sich die Passanten von der Absperrung täuschen lassen und ihren Laufweg von unserem Eingriff beeinträchtigen lassen. Bei der Umsetzung bedienten wir uns einer rot-weissen Absperrlatte mit dazugehörigen Ständern, die von der Baustelle nebenan in der Unterführung gelagert wurde. Die Latte installierten wir quer im Durchgangsort, sodass beim Hindurchgehen automatisch ein Bogen gemacht werden musste. Ausserdem setzten wir ein Absperrband ein. Das Projekt sollte so lange andauern, bis es von jemandem abgeräumt wurde; konkret dauerte es knapp eine Woche.

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Die gesamte Angelegenheit wurde mittels Video- und Fotoapparat dokumentiert. Beim Filmen war die Durchführung genauso von Bedeutung wie das „Endprodukt“, bei dem auch die vorübergehenden Menschen zu sehen sind.

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Indem wir als Bauarbeiter auftraten sowie dem abgesperrten Bereich einen offiziellen Charakter verliehen haben wurde die Aktion von niemandem hinterfragt. Die Personen folgten blind den Markierungen. Was uns hier sehr verblüfft hat, ist dass unser Auftreten im Bauberuf in keiner Situation angezweifelt wurde – auch nicht als Dutzende von Bauarbeiter vorübergingen. Die Aktion konnte folglich mit einer außerordentlichen Leichtigkeit durchgeführt werden, was zeigt, wie einfach es ist, unterschiedliche Rolle einzunehmen und den eigenen Handlungsspielraum dadurch zu erweitern. Somit haben wir unser Ziel, in den öffentlichen Raum einzugreifen erreicht.

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Abgesperrt kann dem Teilbereich der „Urban Canvas“ zugeordnet werden, wobei in diesem Fall eine Unterführung manipuliert wurde, indem Baustellen-Markierungen, die jedem Auge gut bekannt sind und dementsprechend ernst genommen werden, eingesetzt wurden. In einem weiteren Schritt wäre es spannend, die Absperrung auszubauen und beispielsweise einen Slalom aufzubauen, dem die Passanten gezwungen wären zu folgen. So würde der Eingriff als kritischer oder ironischer Akt sichtbar werden.

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ZOO und soo

Von N.S. und L.S.

Konzept
Bei unserem Projekt haben wir bereits vorhandene SVP- und Knies Kinderzoo- Plakate verändert, um unsere kritische Haltung gegenüber den Aussagen auf den Plakaten aufzuzeigen. Wir haben Bilder und Slogan überklebt, damit die Veränderung nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, sondern erst beim genaueren Hinschauen.

Realisation
Bei den Plakaten für Kinderzoo haben wir das Bild des Pinguins mit einem Wolf ersetzt und das des Geparden mit einem Bären. Die beiden Tiere, Bär und Wolf, sind ursprünglich einheimische Tiere, die heute wieder den Weg zurück in die Schweiz finden. Den Text „KNIES KINDERZOO – Rapperswil am See“ haben wir mit „KEIN KINDERZOO“ ersetzt und den Ort eingefügt, wo die Tiere zuletzt entdeckt wurden.

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Beim Plakat von Adrian Amstutz (SVP Angehöriger) haben wir den Slogan „Voller Einsatz für KMU und Gewerbe. Versprochen!“ in „Voller Einsatz für gleichgeschlechtliche Ehe. Versprochen!“ ersetzt, da erst letztes Jahr ein Angehöriger der SVP mit einem schwulenfeindlichen Spruch auffällig wurde und die SVP als konservative Partei nicht zu den Befürwortern gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zählt.

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Reflexion
Werbeplakate sind schnelllebige Kommunikationsplattformen und werden regelmässig von der APG kontrolliert. Dies macht eine offensichtliche Veränderung der Plakate sozusagen sinnlos, da diese „verunstalteten“ Werbeflächen umgehend ersetzt werden. Wir haben uns deshalb für eine subtilere Variante entschieden. Da unsere Eingriffe also den Stil der gegebenen Plakate übernehmen, fallen sie allerdings auch weniger auf. Wir erhielten sogar Rückmeldungen, dass das SVP-Plakat als echt aufgenommen wurde und Herr Amstutz so in ein besseres Licht gerückt wurde, was natürlich nicht unsere Absicht war.
Die Guerillataktik ist vom Vorgehen her riskanter, da die Illegalität der Aktion klarer erkennbar ist. Die Aussage ist hingegen sofort sicht- und als Kritik am Plakat erkennbar.
Beide Vorgehensweisen haben uns Lust auf weitere „urban hackings“ gemacht. Der Kreativität beim „adbusting“ sind keine Grenzen gesetzt und diese möchten wir weiter ausloten.

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